Interview „ Kurdischer Studierenden Kongress“ in Deutschland

– 03.10.2025, Frankfurt am Main –

Als junge Frauen Zeitschrift „Xwebûn“ waren wir beim diesjährigen Kurdischen Studierenden Kongress in Frankfurt dabei, um von den Eindrücken zu berichten. Bei diesem Kongress, diesem Zusammentreffen der unterschiedlichsten StudentInnen aus Hochschulgruppen aus ganz Deutschland ging es darum sich kennen zu lernen, zu vernetzen und gemeinsam ein Fundament zu schaffen auf dem man zusammenarbeiten kann und die gemeinsamene Identität zu finden und zu schützen. Am Kongress nahmen über 300 Personen teil. Damit die Arbeiten der Uni-Gruppen nicht nur lokal in den Städten sprießen, sondern überall wachsen, um die Stimme kurdischer Studierenden lauter werden zu lassen, wurde unter anderem zusammengerufen, um einen Dachverband zu gründen. Dafür wurde ein Vorstand, bestehend aus 2 jungen Frauen und 3 jungen Männern, gewählt. Auf dem Kongress, legten aus allen Teilen Kurdistans Jugendliche die aktuelle Lage in der jeweiligen Region dar, die Repression, aber auch und vor allem den Widerstand.  Es wurde diskutiert, Delegierte aus den Universitäten Başûr, Bakûrs, eine Studentin, die in Rojhilat zunächst aufgewachsen, und eine junge Frau live zugeschaltet aus Rojava, sprachen. Als wichtiger Teil der kurdischen Kultur, trat auch die in Frankfurt verortete Folkloregruppe „Rojava“ auf. Der Kongress fand in insgesamt 5 Sprachen statt (Kurmancî, Soranî, Deutsch, Türkisch, Englisch). Zu aller Überraschung kam noch eine Grußbotschaft der Ko-Vorsitzenden für auwärtige Beziehungen der Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien Îlham Ehmed. Sie wünschte allen Studierenden und Jugendlichen viel Erfolg. Der Kongress ging mit so viel Energie, wie sie am Anfang zu spüren war und Zuversicht für eine gemeinsame Zukunft zu Ende.

Könnt ihr euch einmal vorstellen?

Lorin: Ich heiße Lorin und studiere im 8. Semester Lehramt die Fächer Englisch und Wirtschaft/ Politik in Essen.

Dicle: Ich heißte Dicle und komme aus Bochum. Dort studiere ich auf Lehramt die Fächer Englisch und Deutsch.

 

Wir sind hier heute bei dem Kongress kurdischer Studierender in Deutschland. Wir können es als ein historisches Event bezeichnen. Was hat euch bewegt heute hier herzukommen, warum seid ihr heute hier und was nehmt ihr von dem Tag heute mit?

Lorin: Der Kongress hat uns dazu gebracht uns heute und hier zu versammeln und mich mit anderen KurdInnen zu verbinden. Seit langem verspüre ich mal wieder ein Gefühl von Einheit zu, was in deutschen Universitäten sehr oft verloren geht. Diese Stärke, Moral und den Erfolg vom heutigen Tag möchte ich mitnehmen. Und ich hoffe, dass dieser Kongress ein Anfang von etwas ist, was uns in der Zukunft noch viel mehr Möglichkeiten bietet uns an den Unis besser zu connecten und gemeinsam noch viele große Dinge zu erreichen.

Dicle: Ich bin heute hier, weil es nicht so viele Möglichkeiten gibt so viele kurdische Menschen oder Menschen, die sich für die kurdische Gesellschaft und dessen Probleme interessieren, im Alltag zu treffen. Vor allem in Universitäten trifft man sich nicht auf diese Weise, da es oftmals schwierig ist Personen zu finden die Treffen organisieren oder auch überhaupt organisieren „dürfen“. Weshalb es um so schöner ist, dass uns diese Möglichkeit vor allem als Studierende gegeben wird. Das ist wichtig, damit man sich auch nicht so alleine fühlt mit seiner Identität und Verbindungen knüpfen kann.

 

Was bedeutet es als Kurdin zu studieren, was für Einflüsse hat eure Identität auf euer Studium?

Lorin: Meine Eltern beziehungsweise ich kommen aus Bakûr Kurdistan, Merdin, genauer gesagt Niseybin. Was das genau für mich und mein Studium bedeutet ist erst einmal, dass ich in meiner Familie die Erstakademikerin bin. Es gibt in meiner Familie keine Beispiele diesbezüglich, da sie wie viele andere KurdInnen oder auch andere Diaspora in den 1990er Jahren nach Deutschland geflohen sind und auf Grund von politischer Verfolgung gezwungen waren ihr Leben nun hier weiter zu führen. Und ich sehe viele andere junge KurdInnen in meinem Alter (Ich bin 23 Jahre alt), die orientierungslos sind. Das liegt an der Assimilation und der darauffolgenden Schwierigkeiten, die wir haben unsere Identität zu finden und zu schützen. Man verspürt nämlich den Druck sich anpassen zu müssen an etwas wo man zum Beispiel die Norm nicht kennt, wie unter deutschen Studierenden. Zuhause hat man eine ganz andere Realität, verschiedene Persönlichkeiten, die Familie, die kurdische Kultur, Religion und vieles weitere. Das alles möchte man unter einen Hut bringen und manchmal kann das sehr überfordernd sein.

Diese Last kann einem aber abgenommen werden, durch Versammlungen wie diese. Oder auch durch den Dachverband, der jetzt auf dem Kongress gegründet wurde. Das ist etwas, was mich beruhigt, was mir eine Unterstützung und Zuversicht gibt.

Dicle: Meine Familie kommt ursprünglich aus Dersim und sind dann nach Sîwaz geflüchtet und haben gleich zwei Massaker miterlebt. Das Traumata und die Assimilierung hält sie davon ab über ihre Vergangenheit zu reden, weshalb ich mit meiner Familie so gut wie gar nicht über meine Wurzeln sprechen kann. Ich kann ihr gelebtes Trauma nachvollziehen, aber wünsche mir gleichzeitig eine Person mit der ich mich darüber austauschen, mit der man reden kann. An meiner Uni gibt es zwar KurdInnen, aber wir stellen eher eine Minderheit dar. Man fühlt sich manchmal schon einsam, weil es Themen gibt die andere nicht direkt nachvollziehen können. Wenn man sich mit Personen über die gleichen Schwierigkeiten austauschen kann, kann man auch gemeinsam nach Lösungen suchen. Wie Lorin auch eben schon meinte, ist es deshalb um so schöner solche Veranstaltungen zu finden, wo man sich austauschen kann, ohne dass man Angst davor haben muss verurteilt zu werden. Oder auch bemitleidet zu werden, denn das bringt gar nichts. Ich möchte gemeinsam, nach einer gemeinsamen Identität suchen.

 

Wie ihr auch schon erwähnt habt, wurde heute der Dachverband kurdischer Studierender in Deutschland gegründet. Was ist eure Perspektive darin, mit was für Vorstellungen und Ideen schaut ihr in die Zukunft und wie geht ihr in diese neu angestoßene Etappe?

Lorin: Ich bin sehr enthusiastisch. Der Tag heute hat mir sehr viel Kraft gegeben. Gerade auch im Hinblick auf die aktuellen Ereignisse und all die Repression. Denn zusammen lässt uns das als KurdInnen, als Xwendekars hier in Deutschland, in der Diaspora standhaft bleiben. Was wir uns daraus erhoffen ist eine stärkere Organisiertheit und verbesserte Vernetzung von Studierenden, dass man sich untereinander besser und die Fähigkeiten von einander kennenlernt. Ich gehe davon aus, dass diese von jeder/m erfolgreichen StudentIn genutzt werden können um sich gegenseitig zu schützen. Sodass wir unseren Weg nicht mehr alleine gehen müssen, sondern gemeinsam und das Beste aus unserer Position als StudentInnen heraus holen können.

Dicle: Es ist wirklich ein Privileg was wir hier haben, dass wir uns überhaupt so organisieren können. Deswegen finde ich es um so wichtiger, dass wir hier damit anfangen uns unsere Zukunft gemeinsam aufzubauen. Damit wir dann in der Zukunft, wenn wir etwas aufgebaut haben, auch die KurdInnen in der Heimat unterstützen können, durch eine Organisation. Als einzelne Person kann man leider nicht viel ausrichten. Zum Beispiel wenn die Familie von Gewalt, Assimilation, etc. betroffen ist, und man weiß, dass man sich nicht alleine darum kümmern muss. Sondern, dass man sich dann mit dem Verband, mit der Organisation in Kontakt setzen kann und helfende Hände bekommt. Das ist etwas sehr wichtiges, was ich mir erhoffe.

 

Warum ist es vor allem wichtig sich als junge Frauen, Studentinnen zu organisieren? Habt ihr etwas was ihr jungen kurdischen Frauen oder anderen Studentinnen (und Studenten) in der Diaspora sagen wollt?

Lorin: Mein Appell an alle junge Frauen ist, egal ob Xwendekar oder nicht, dass sie ihren eigenen Weg einschlagen und selbst in die Hand nehmen sollen. Gerade in Ländern wie Deutschland, wo das Thema Freiheit sehr glorifiziert wird, sollten wir uns bewusst werden, dass wir hier auch sehr eingeschränkt sind. Es ist wichtig, dass wir selbst heraus finden, wer wir eigentlich sind und uns nicht den gesellschaftlichen Normen, den klassischen Rollenbildern hingeben. Das wir danach suchen, was wir in der Zukunft wollen, wer wir als Frauen eigentlich sind. Und, dass wir uns nicht nach den Erwartungen anderer, vor allem derer von Männern, richten. Denn im Endeffekt wird es so keine Freiheit geben, wir würden in einer Illusion leben. Ich merke vor allem dadurch, sich selbst zu organisieren, vor allem unter Frauen, in den Universitäten, was man alles bewirken kann.  Dann findet man schnell heraus, was man alles bewirken kann ohne von außen beeinflusst zu werden.

Dicle: Ich schließe mich da an. Und wir leben nicht mehr in einer Zeit in der man auf den Prinzen auf dem weißen Pferd warten muss. Wir haben genauso ein Mitbestimmungsrecht und das Recht zu entscheiden, was wir vom Leben wollen. Vor allem sind wir es, die etwas sagen müssen. Denn die, die als erstes unterdrückt werden sind die Frauen. Immer.

Deshalb ist es um so wichtiger, dass wir unsere Stimme erheben und unsere Forderungen klarstellen. Wir müssen selbst unsere eigene Stimme repräsentieren und sollten nicht darauf warten, dass sich irgendwer für uns einsetzt.

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